Philosophie erleben in der Residenz Humboldthöhe

Septemberthema: Dekadenz und Niedergang

Der aktuelle Duden erklärt Dekadenz so: „kultureller Niedergang mit typischen Entartungserscheinungen in den Lebensgewohnheiten und Lebensansprüchen; Verfall, Entartung“. Diesem Phänomen wollten eine Gruppe von gut zwei Dutzend Männer und Frauen im Philosophischen Café der Residenz Humboldthöhe auf den Grund gehen.

Wie immer einmal im Monat ist der Bonner Philosoph Markus Melchers eingeladen. Cornelia Seidl vom Sozialen Dienst begrüßte ihn im Clubraum der Residenz. Den Gesprächsimpuls kommt vom Philosophen durch drei unterschiedliche Zitate aus der Literatur. Mit den Worten: „Jetzt sind Sie dran.“ Startet die Diskussionsrunde für die, die möchten. Nur zuhören ist natürlich auch erlaubt und Gäste von außerhalb der Residenz sind herzlich willkommen. Die Veranstaltung ist öffentlich und die Teilnahme kostenlos.

Dekadenz wird häufig gleichgesetzt mit einem maßlosen Leben und einem Verfall von allgemein verbindlichen Werten. Allgemein verbindliche gesellschaftliche Werte werden in Frage gestellt und überschritten. Dekadenz ist in ihrer Verständlichkeit wohl Veränderungen unterworfen und ein Niedergang bedeutet nicht gleich einen Untergang. Dekadenz ist eine Standpunktfrage und somit eine Frage des Maßstabes. So die ersten Thesen in der lockeren Diskussionsrunde. Dekadenz und Besitz, beziehungsweise Wohlstand mit mehr als genug, wird häufig in Zusammenhang gebracht, jedoch ist Dekadenz wohl eher eine Geisteshaltung und damit unabhängig von Besitz.

Kulturen werden geboren, existieren und gehen nieder?

Philosoph Markus Melchers: „Der Begriff Dekadenz wurde in der Philosophie erstmalig 1693 benutzt“. Ursprünglich habe er nichts mit Sittenverfall zu tun. Er wurde im Umfeld von Ästhetik gebraucht. Man nutzte die Vokabel, wenn man ausdrücken wollte, dass eine Oberflächlichkeit zunehme und ein gewohntes Maß an Anstand verloren gehe. Dekadenz ist gesellschaftlich verankert und stellt die Werte in Frage, die die Gesellschaft geschaffen hat und bewahren will.  Ist es denn so, dass Kulturen geboren werden, existieren, sich entwickeln wie eine Art Lebewesen und niedergehen? Ist dies so eine Art Naturgesetz?

Jedoch hängt sie wohl auch von der Beobachterperspektive ab, der wiederum ein Messpunkt vorgibt.  Somit ist das Empfinden und bezeichnen eines Zustandes mit dem Begriff Dekadenz wohl mit einem gesellschaftlichen und individuellen Maßstab verbunden und damit auch eine Frage der Toleranz. Wie ist Dekadenz einzugrenzen und welche Abweichungen sind tolerabel?

Bremst die Unterdrückung von Dekadenz den Fortschritt?

Dekadenz hat einen negativen Tenor und es stellt sich die Frage, ob ein Zustand „nur“ unangemessen oder obszön ist oder schon als dekadent bezeichnet wird.  Dekadent zu sein und zu handeln heißt womöglich, sich weg zubewegen von etwas Gutem, das einmal da war. Sicherlich gibt es auch eine zeitabhängige Dekadenz. Gesellschaftliche Werte sind einem Wandel unterworfen und das ist gut so.  Keiner, oder zum Glück nur eine kleine gesellschaftliche Gruppe, möchte den Werten folgen, die vor siebzig oder einhundert Jahren eine Norm vorgaben. Wer bestimmt den Maßstab, den Wert des Werteverlustes? Was ist die gesellschaftliche Richtschnur und wer gibt Hilfestellung bei der Einhaltung der gesellschaftlichen Regeln? Ist eine Abweichung von der Norm schon dekadent oder bremst die Unterdrückung von Dekadenz den Fortschritt?

Die Diskussionsrunde versuchte sich an einer Definition vom Begriff Dekadenz. So scheint es, dass mit Dekadenz wohl etwas bezeichnet ist, was den Werten einer Gesellschaft zuwiderläuft.  Nun ist es jedoch so, dass eine Gesellschaft in Bewegung sein muss um sich weiterzuentwickeln oder die Bewegung für den Fortbestand einer Gesellschaft einfach unabdingbar ist. Somit kann sein, dass Dekadenz sich nur aus einem bestimmten zeitlichen Abstand erkennen lässt oder ein Zustand der Vergangenheit als dekadent bezeichnet wird.

Neunzig Minuten angeregte Diskussion vergingen wie im Fluge. Cornelia Seidl dankte allen Beteiligten für ihr Kommen und lud alle Interessierten zum nächsten Philosophischen Café ein. Dieses findet am 8. Oktober 2019 statt, startet um 15.00 Uhr im Clubraum der Residenz. Thema wird sein: Sehnsucht. Vorher besteht die Möglichkeit zum Austausch bei Kaffee und Kuchen. Besucher von außerhalb sind herzlich willkommen. Es besteht die Möglichkeit kostenlos den Hausbus zur Residenz zu nutzen. Parken kann man kostenfrei in Parkhaus der Residenz Humboldthöhe.  Auskunft erteilt Dagmar Hett – 0261 – 640300